ETL erstreitet Rechtssicherheit für außerorganschaftliche Mehrabführung

BFH-Urteil vom 21.02.2022 – I R 51/19

 

Die ETL Kanzlei ETL-Heimfarth & Kollegen erstreitet gemeinsam mit einem Mandanten vor dem BFH Rechtssicherheit für körperschaftsteuerliche Organschaften

In einem am 22.06.2022 zugestellten Urteil hat der Bundesfinanzhof (BFH), das höchste deutsche Gericht in Steuersachen, entschieden, dass sogenannte „außerorganschaftliche“ Mehrabführungen nicht mit den in § 14 Abs. 3 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) genannten „vororganschaftlicher“ Mehrabführungen gleichzusetzen sind. In einem systematisch stringenten und in der Argumentation sehr klaren Urteil hat der BFH, wie zuvor bereits das Finanzgericht Rheinland-Pfalz im ersten Rechtszug, damit weiter entschieden, dass die Rechtsfolge des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG somit nicht für außerorganschaftliche Mehrabführungen gelten. Die Kanzlei ETL-Heimfarth & Kollegen GmbH hat gemeinsam mit weiteren ETL-Kollegen und dem Mandanten als Klägerin, einer börsennotierten Kapitalgesellschaft, dieses für alle Körperschaften relevante Urteil erstritten. Zwar betrifft der entschiedene Fall den Rechtsstand des Körperschaftsteuergesetzes des Jahres 2008, da die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG aber seit dem unverändert ist, entfaltet das Urteil auch aktuelle Geltung.

Zum Hintergrund

Durch das Richtlinien-Umsetzungsgesetz (EURLUmsG)1 vom 09.12.2004 wurde dem § 14 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ein neuer Absatz 3 angefügt. Dieser lautet in seinem ersten Satz:

„Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, gelten als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger.“

Mit diesem Gesetz reagierte der Gesetzgeber offenbar auf das BFH-Urteil vom 18.12.2002.2 Kam es zuvor zu Abweichungen zwischen handelsrechtlicher Gewinnabführung und dem korrespondierenden Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft und hatte diese Abweichung ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit, behandelte die Finanzverwaltung die Mehr- oder Minderabführungen als Gewinnausschüttungen oder als verdeckte Einlage.3 Nach Auffassung des BFH im o. g. Urteil fehlte es jedoch für eine Umqualifizierung einer Abführung in eine Ausschüttung an einer Rechtsgrundlage. Dies hat der Gesetzgeber mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.03 enden,4 in Absatz 3 geschaffen: Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, gelten als Gewinnausschüttung (§ 14 Abs. 3 Satz 1 KStG n. F.), Minderabführungen gelten steuerlich als Einlagen (§ 14 Abs. 3 Satz 2 KStG n. F.).5

Bereits kurze Zeit später entsprangen innerhalb der Literatur sowie mit der Finanzverwaltung die ersten Streitigkeiten, was genau unter diesen gesetzlich nun vorgesehenen „vororganschaftlichen“ Mehrabführungen zu verstehen ist.6

Insbesondere die Finanzverwaltung vertritt dabei die Ansicht, dass das in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG enthaltene Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ sei nicht nur in zeitlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen und erfasse so auch sog. außerorganschaftliche Verursachungen. Demnach seien auch solche Mehrabführungen zu erfassen, die sich daraus ergäben, dass das Vermögen einer anderen Gesellschaft durch Umwandlung oder Einbringung auf eine Organgesellschaft übergehe und die übernehmende Organgesellschaft das auf sie übergehende Vermögen in der Steuerbilanz mit den Buchwerten, handelsrechtlich jedoch mit den Verkehrswerten ansetze.7

Sachverhalt und Entscheidung des BFH

In dem vorliegend entschiedenen Fall hält die Klägerin sämtliche Geschäftsanteile an der Tochtergesellschaft C. Zwischen der Klägerin und der C wurde mit Wirkung zum Wirtschaftsjahr 2007 ein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen. Im Streitjahr 2008 erwirtschaftete die C einen von der Klägerin auszugleichenden Jahresfehlbetrag.

Die C war wiederum an alleinige Gesellschafterin der T1 und der T2. Zwischen der C und deren beiden Tochtergesellschaften bestanden keine Gewinnabführungsverträge. Mit notariellem Vertrag aus 2008 wurde die T1 rückwirkend zum 01.03.2008 auf die C verschmolzen. Der Verschmelzung lag die auf den 29.02.2008 erstellte Handelsbilanz der T1 zugrunde. Außerdem wurde die T2 mit notariellem Vertrag aus Dezember 2008 zum 01.10.2008 auf die C verschmolzen. Der Verschmelzung lag die auf den 30.09.2008 erstellte Handelsbilanz der T2 zugrunde. Sowohl die T1 als auch die T2 beantragten, die bei der Verschmelzung übergehenden Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz gemäß § 11 Abs. 2 des Umwandlungsteuergesetzes (UmwStG) mit dem Buchwert anzusetzen.

Die C als übernehmende Körperschaft aktivierte die von der T1 und der T2 auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter in ihrer Handelsbilanz zum 31.12.2008 unter Aufdeckung der stillen Reserven. Nach Vornahme der Abschreibungen für das Geschäftsjahr 2008 ergaben sich somit Wertansätze von in Summe rd. 12,6 Mio. EUR. In der Steuerbilanz der Gesellschaft wurde der o. g. Buchwertansatz nach § 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG umgesetzt. Die sich aus der Differenz zwischen dem handelsbilanziellen und dem steuerbilanziellen Ansatz ergebende Mehrabführung i. H. v. insgesamt 12,6 Mio. EUR behandelte die Klägerin als „organschaftlich“ i. S. v. § 14 Abs. 4 KStG und bildete in ihrer Steuerbilanz einen besonderen passiven Ausgleichsposten in gleicher Höhe. Bei der C wurde das Einlagekonto entsprechend nach § 27 Abs. 6 KStG gemindert.

In der Zeit von Mai 2013 bis Juli 2015 wurde bei der Klägerin eine Außenprüfung durchgeführt. Im Prüfungsbericht vom 16.10.2015 ermittelte der Prüfer für das Streitjahr 2008 inländische Bezüge der Klägerin nach § 8b Abs. 1 KStG i. H. v. 12,6 Mio. EUR. Zur Begründung verwies er auf Feststellungen anlässlich einer parallel durchgeführten Außenprüfung bei der C, wonach es sich bei den durch die Verschmelzungen der T1 und der T2 auf die C und die damit verbundene Aufdeckung der stillen Reserven in der Handelsbilanz entstandenen Mehrabführungen nach Rz. Org 33 des BMF-Schreibens vom 11.11.2011 (Umwandlungssteuererlass 20118) um außer- bzw. vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen handele, die als Gewinnausschüttungen an den Organträger zu behandeln seien. Die Bildung des zuvor von der Klägerin gebildeten besonderen passiven Ausgleichspostens wurde dementsprechend wieder rückgängig gemacht. Der Ansatz des zusätzlichen Beteiligungsertrags führte bei der Klägerin nach § 8b Abs. 1 und 5 KStG im Ergebnis zu einer Einkommenserhöhung i. H. v. 12,6 Mio. EUR x 5 v. H. = 0,6 Mio. EUR. Den nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG nicht zu berücksichtigenden Übernahmeverlust der C i. H. v. 12,1 Mio. EUR rechneten die Prüfer bei der Ermittlung ihres zu versteuernden Einkommens im Streitjahr 2008 außerbilanziell wieder hinzu.

Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ für die Klägerin einen entsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2008. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen vortrug, die Wertdifferenzen durch die unterschiedlichen Ansätze in der Handels- und Steuerbilanz träten erstmals bei der Organgesellschaft auf, so dass die daraus resultierende Mehrabführung nicht in vororganschaftlicher Zeit verursacht sein könne. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz der nachfolgenden Klage stattgegeben, jedoch aufgrund grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BFH zugelassen.9

Auf Revision des Finanzamtes hat der BFH nun im Wesentlichen das Urteil des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz bestätigt.10

Der BFH prüft dabei im klassischen juristischen Sinne die entscheidungsrelevante Vorschrift des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2008 anhand der juristischen Auslegungsmethoden systematisch stringent durch.

Bereits der Wortlaut „Ursache in vororganschaftlicher Zeit“ spricht von einer rein zeitbasierten Regelung. Der Gesetzeswortlaut lässt eine Auslegung, wonach „vor-organschaftlich verursacht“ im Sinne von „außerhalb des konkreten Organschaftsverhältnisses verursacht“ auszulegen ist nicht zu.

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift stützt nach Ansicht des BFH diese Auslegung. Dieser liegt darin, dass Gewinne, die bei der Organgesellschaft bereits vor Begründung des Organschaftsverhältnisses besteuert wurden, handelsrechtlich aber erst nach der Begründung des Organschaftsverhältnisses entstehen und an den Organträger abgeführt werden, der Dividendenbesteuerung beim Organträger zuzuführen. Da ein vororganschaftliche Mehrabführung dann vorliegt, wenn der handelsbilanzielle Jahresüberschuss den Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft überstiegt, tritt sie als Folgewirkung einer entsprechenden (umgekehrten) Bestandsdifferenz zwischen Handels- und Steuerbilanz in vororganschaftlicher Zeit ein. Gerade an dieser Folgewirkung fehlt es aber, so der BFH weiter, wenn die Mehranführung daraus resultiert, dass die Organgesellschaft das im Rahmen einer Umwandlung übernommene Vermögen, abweichend vom steuerbilanziellen Ansatz der Buchwerte, handelsrechtlich mit den Anschaffungskosten bewertet (sog. step-up). Soweit diese Wertaufstockung auf abschreibungsfähige Vermögensgegenstände entfällt, führt dies dazu, dass in den Jahren nach der Verschmelzung handelsrechtlich ein höheres Abschreibungspotential besteht und sich infolgedessen – als Umkehreffekt des step-ups – im Vergleich zu den handelsbilanziellen Ergebnissen steuerliche Mehrergebnisse und somit Minderabführungen ergeben. Entgegen dem Finanzamt sieht der BFH hier auch keine Ausnahme für die stillen Reserven, die in den Vermögenswerten vorhanden sind. Die bloße Existenz der stillen Reserven könne keine Auswirkung auf das handels- oder steuerbilanzielle Ergebnis haben und somit keine Ursache für eine Mehrabführung darstellen. Andersfalls würde der o. g. Zweck der Vorschrift, die Dividendenbesteuerung aus vororganschaftlicher Zeit beim Organträger, verfehlt.

Dies entspricht auch, so der BFH weiter, auch dem Willen des Gesetzgebers. Mit Blick auf die seinerzeitigen Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber ebenfalls nur den Fall einer zeitlichen Abgrenzung regeln.

Abschließend sieht der BFH in der Vorschrift keine Regelungslücke, die eine ergänzende Rechtsfortbildung erfordere.

Fazit

Die Urteile von BFH und FG sind systematisch stringent hergeleitet und sachlich gut begründet. Insbesondere auch die Revisionsentscheidung des BFH zeigt, dass die Rechtlage im Wege der klassischen juristischen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Willen des Gesetzgebers, Sinn und Zweck, Analogie) zu erkennen ist.

 

Weiterhin zeigt der BFH (man möchte fast sagen: „einmal mehr“) der Finanzverwaltung die Grenzen der „Richtlinienkompetenz“ auf. Alle Regelungen, die die Finanzverwaltung im Rahmen von Verwaltungsvorschriften erlässt, müssen sich dennoch am Wortlaut des Gesetzes messen lassen. Dies gilt sowohl für den expliziten Wortlaut der gesetzlichen Regelung sowie für den „gewünschten“ Wortlaut, der nach Ansicht der Verwaltung vielleicht dort hätte geregelt werden sollen bzw. müssen. Eine mögliche Reaktion der Finanzverwaltung auf dieses Urteil (Veröffentlichung im BStBl. Nichtanwendungserlass, Gesetzesinitiative zur Änderung des § 14 Abs. 3 KStG) bleibt abzuwarten.

Fußnoten

1 Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien- Umsetzungsgesetz – EURLUmsG) vom 09.12.2004, BGBl. I S. 3310.
2 BFH-Urteil vom 18.12.2002 – I R 51/01, BStBl II 2005, 49.
3 Abschn. 59 Abs. 4 Satz 3 und 5 KStR 1995.
4 Zur Übergangsregelung siehe § 34 Abs. 9 Nr. 4 i. d. F. des EURLUmsG, a.a.O.
5 Krumm in: Brandis/Heuermann, 159. EL Oktober 2021, KStG § 14 Rn. 250.
6 So bereits Rödder DStR 2005, 217, 220.
7 BMF-Schreiben vom 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978 – b/08/10001, BStBl. I S. 1314, Tz. Org.33.
8 BMF-Schreiben vom 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978 – b/08/10001, BStBl. I S. 1314.
9 FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 10.09.2019 – 1 K 1418/18, EFG 2020, 61.
10 BFH-Urteil vom 21.02.2022 – I R 51/19.

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